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Als ich das Buch zum ersten Mal las, reagierte ich wie viele Leser der Bücher von Alice Miller: Ich konnte verstehen und nach-epmfinden, dass Kinder, die in einer emotionalen Wüste aufwachsen und durch körperliche, sexuelle und psychische (verbale und non-verbale) Gewalt eine unglückliche Kindheit hatten. Dass Alice Miller aber von Folter an Kindern spricht und meint, dass man sich erst dann erlösen kann, wenn man die unglaubliche Wut und die extreme Traurigkeit aus der Kindheit im Heute nachspürt und ihr Raum für ein nicht-destruktives Ausagieren gibt, das empfand ich als zu weit gehend. Nachdem ich mich aber mit der Schematherapie und dann auch in integrativer Psychotherapie sowie in der NARM-Methode zur Bearbeitung von Entwicklungstrauma-Folgen fortgebildet hatte, empfinde ich die Beurteilung von Alice Miller heute so aktuell wie damals! – Ich spüre und weiß, dass Alice Miller in keinem einzigen Punkt übertreibt, wenn sie über die massiven Schäden schreibt, die eine rigide, gewaltgeprägte Erziehung verursacht.

Buch-Empfehlungen

Am Anfang war Erziehung

für einen „Bilderbuchstart” ins Leben

von Alice Miller
Taschenbuch: 322 Seiten
Verlag: Suhrkamp
ISBN-13: 978-3518374511
Preis: 10 EUR


Alice Miller unternimmt mit »Am Anfang war Erziehung« den Versuch, die Öffentlichkeit für frühkindliches Leiden und Tramatisierung zu sensibilisieren. Die Psychoanalytikerin wurde dadurch zur Aktivistin für eine Kindheit ohne Gewalt.

»Am Anfang war Erziehung« ist die öffentliche Antwort der Autorin auf die zahlreichen Leserbriefe, die sie zu ihrem ersten Buch »Das Drama des begabten Kindes« (1979) erreichten. Alice Miller hoffte, durch das neue, ausführlichere Buch einen Teil der Fragen beantworten zu können, die ihr von Kollegen und von Betroffenen gestellt wurden.

Alice Miller, geboren am 12. Januar 1923 und gestorben 14. April 2010, war eine polnisch-schweizerische Autorin und Psychoanalytikerin. Sie hat in vielen allgemeinverständlichen Werken ihre Einsichten in die Kind-Eltern-Beziehung, in Kindesmisshandlung und Trauma-Entstehung in der Kindheit sowie ihre Kritik an der Psychoanalyse veröffentlicht. Ihre Website wird von den Erben aktuell noch weiter betrieben.

Als ich das Buch zum ersten Mal las, konnte ich aufgrund eigener Erfahrungen in meiner Kindheit verstehen und nach-empfinden, dass Kinder, die in einer emotionalen Wüste aufwachsen und durch körperliche, sexuelle und psychische (verbale und non-verbale) Gewalt fast immer ein Trauma erlitten haben. Sie beschreibt in großer Klarheit, welche Folgen verschiedene repressive „Erziehungsmethoden” haben und hilft damit dem Leser, ein tieferes Verständnis für die Problematik zu bekommen.

Waren zur Zeit von Alice Miller überwiegend repressive „Erziehungsmethoden” üblich, so hat sich dies inzwischen stark gewandelt hin zu einem vernachlässigenden Erziehungsstil und auch zur Repression durch Manipulation und emotionaler Erpressung.

Der therapeutische Ansatz, den Alice Miller in ihren Büchern erwähnt bzw. verkürzt darstellt, entspricht den Erkenntnissen dieser Zeit und ist meiner Ansicht nach überholt: Alice Miller meint, dass man sich erst dann erlösen kann, wenn man die unglaubliche Wut und die extreme Traurigkeit aus der Kindheit im Heute nachspürt und ihr Raum für ein nicht-destruktives Ausagieren gibt. In meinem Beitrag über Traumatherapie stelle ich eines der Erfolg versprechendsten und nachhaltigsten Therapiekonzept vor, mit dem auch ich arbeite.

In allen anderen Themen des Buches spüre ich und weiß, dass Alice Miller in keinem einzigen Punkt übertreibt, wenn sie über die massiven Schäden schreibt, die eine rigide, gewaltgeprägte Erziehung verursacht.

In meinen Vorträgen und Seminaren wurde ich öfter gefragt, wo man denn mit Veränderungen anfangen müsste, bei der Kindererziehung oder bei sich selbst? Ich antwortete: Bei sich selbst! – Warum? Wenn man nicht erkennt, wie die Folgen der als Kind von den eigenen Eltern erlittenen Gewalt auch die gegenwärtige Lebens- und Beziehungsgestaltung destruktiv beeinflusst, neigt man dazu, den eigenen Kindern das Gleiche anzutun, was man selbst als Kind hat erleiden müssen! Einfach deshalb, weil man damals als Kind möglicher Weise erlernt hat, das Erlittene als „normal” anzusehen, denn diese Sichtweise hat damals das Leiden durch Verharmlosung als „normal” zum Schein verringert.

Begeistert hat mich an Alice Millers Buch, dass sie ausführlich darstellt, dass die massenhafte Gewalt gegen Kinder und die entstehende Schädigung von Kindern dazu führt, dass wir uns in einer von Gewalt verseuchten Gesellschaft wiederfinden. Tägliche Berieselung mit Gewaltszenen durch die Medien, verhungerte / verwahrloste oder ermordete Kinder mitten im reichen Deutschland (2023: rund 22% der Kinder in Deutschland leben in Armut!).

Zugleich ist die Gesellschaft deformiert durch unterwürfige, anpassungsbereite Menschen, die dazu neigen, sich von der Obrigkeit jede Unterdrückungsmaßnahme gefallen zu lassen und zu gehorchen. Auch dieser Gehorsam ist meistens als Traumafolge aus früher Kindheit verständlich!

Alice Miller weist in ihrem Buch minutiös genau nach, wie die in der Kindheit erlittene Gewalt und psychische Deformierung später zu Lasten aller Menschen zum Ausbruch kommt und längst eine globale Bedrohung für uns alle darstellt.