sh a miller am anfang war erziehung

von Alice Miller
Taschenbuch: 322 Seiten; Verlag: Suhrkamp; Auflage: Neuauflage. (7. April 2008);
ISBN-13: 978-3518374511; 10 EUR

Alice Miller unternimmt mit »Am Anfang war Erziehung« den Versuch, die Öffentlichkeit für frühkindliches Leiden zu sensibilisieren. Die Psychoanalytikerin wurde dadurch zur Aktivistin für eine Kindheit ohne Gewalt.
»Am Anfang war Erziehung« ist die öffentliche Antwort der Autorin auf die zahlreichen Leserbriefe, die sie zu ihrem ersten Buch »Das Drama des begabten Kindes« (1979) erreichten. Alice Miller hoffte, durch das neue, ausführlichere Buch einen Teil der Fragen beantworten zu können, die ihr von Kollegen und von Betroffenen gestellt wurden.

Alice Miller, geboren am 12. Januar und gestorben 14. April 2010, war eine schweizerische Autorin und Psychoanalytikerin. Sie hat in vielen allgemeinverständlichen Werken ihre Einsichten in die Kind-Eltern-Beziehung und ihre Kritik an der Psychoanalyse dargestellt.

Als ich das Buch zum ersten Mal las, reagierte ich wie viele Leser der Bücher von Alice Miller: Ich konnte verstehen und nach-epmfinden, dass Kinder, die in einer eiskalten emotionalen Wüste aufwachsen und durch  körperliche, sexuelle und psychische (verbale und non-verbale) Gewalt eine unglückliche Kindheit hatten. Dass Alice Miller aber von Folter an Kindern spricht und meint, dass man sich erst dann erlösen kann, wenn man die unglaubliche Wut und die extreme Traurigkeit aus der Kindheit im Heute nachspürt und ihr Raum für ein nicht-destruktives Ausagieren gibt, das empfand ich als zu weit gehend. Nachdem ich mich aber mit der Schematherapie und dann auch in integrativer Psychotherapie sowie in der NARM-Methode zur Bearbeitung von Entwicklungstrauma-Folgen fortgebildet hatte, empfinde ich die Beurteilung von Alice Miller heute so aktuell wie damals! – Ich spüre und weiß, dass Alice Miller in keinem einzigen Punkt übertreibt, wenn sie über die massiven Schäden schreibt, die eine rigide, gewaltgeprägte Erziehung verursacht.

In meinen Vorträgen über BurnOut und Depression sowie über psychische Gesundheitsvorsorge wurde ich gefragt, wo man denn mit Veränderungen anfangen müsste, bei der Kindererziehung oder bei sich selbst? Ich antwortete: Bei sich selbst! — Wenn man nicht erkennt, wie die Folgen der als Kind von den eigenen Eltern erlittenen Gewalt auch die gegenwärtige Lebens- und Beziehungsgestaltung destruktiv beeinflusst, neigt man dazu, den eigenen Kindern das Gleiche anzutun, was man selbst als Kind hat erleiden müssen! Einfach deshalb, weil man damals als Kind möglicher Weise erlernt hat, das Erlittene als „normal” anzusehen, denn diese Sichtweise hat damals das Leiden durch Verharmlosung als „normal” zum Schein verringert.

Begeistert hat mich an Alice Millers Buch, dass sie ausführlich darstellt, dass die massenhafte Gewalt gegen Kinder und die entstehende Schädigung von Kindern dazu führt, dass wir uns in einer von Gewalt verseuchten Gesellschaft wiederfinden. Tägliche Berieselung mit Gewaltszenen durch die Medien, verhungerte / verwahrloste oder ermordete Kinder mitten im reichen Deutschland (2013: fast 18% in West- und rund 27% der Kinder in Ostdeutschland leben in Armut!), die Greultaten der Vergangenheit, von Hitler und anderen Diktatoren, die Gewaltbereitschaft in den Reihen der Polizei, der Bundeswehr, des SEK, die Selbstverständlichkeit, mit der in Guantanamo weiterhin gefoltert wird und in Palästina, in Syrien, in Afghanistan usw. anscheinend jede Gräueltat möglich ist… — Alice Miller weist in ihrem Buch minutiös genau nach, wie die in der Kindheit erlittene Gewalt und psychische Deformierung später zu Lasten aller Menschen zum Ausbruch kommt und längst eine globale Bedrohung für uns alle darstellt.

Alice Miller starb im Frühjahr 2010.  Ich freue mich, dass ich mit der Schematherapie und seit Ende 2017 mit der körperfokussierten Psychotherapie und seit 2019 mit der NARM-Methode Möglichkeiten entdeckt habe, wie ich Menschen dabei begleiten kann, die Trauma-Folgen aus ihrer Kindheit und Jugendzeit zu überwinden und deren Auswirkungen im Heute zu mindern oder zu beheben.