sh stauss die heilende kraft der vergebung

Die sieben Phasen spirituell-therapeutischer Vergebungs- und Versöhnungsarbeit

von Konrad Stauss
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten; Verlag: Kösel-Verlag; Auflage: 2 (4. Oktober 2010);
ISBN-13: 978-3466368921; 19,99 EUR

„Oh je… spirituell! – Esoterik? Oder was soll das?” Das waren meine ersten Gedanken (und Vorurteile), die in mir hoch schossen. Nun kenne ich mich ja nun schon ziemlich lang und habe inzwischen gelernt, solche spontan-impulsiven Regungen erst mal beiseite zu schieben, damit die Realität ihren Platz findet. Und das heißt ganz einfach: Sich darauf einzulassen und zu sehen, was wirklich IST.
Dieses Buch gibt mir ganz persönliche Anregungen und Denkanstöße und ebenso äußerst wichtige Anregungen für die Gestaltung eines Therapie-Abschluss. In fast jeder Therapie geht es um Verletzungen, die man selbst erlitten hat oder die man sich selbst oder anderen zugefügt hat. Selbst wenn alle Aspekte der Problematik aufgearbeitet worden sind, kann es sein, dass der „Innere Frieden” als befreiender Abschluss nicht erreicht wird.
Mindestens dann sollte der Prozess des Vergebens und Verzeihens als Abschluss der Therapie durchlaufen werden.

Dieses Buch eröffnete mir eine weitere Dimension meiner praktischen Arbeit. – Beispiel: Eine Klientin hatte Probleme mit ihrem körperlichen Erscheinungsbild und ich war ein wenig ratlos, weil keine „Störung” und kein „Krankheitsbild” gemäß „ICD-10-Schubladen-Diagnostik” vorlag.

Dank der Anregungen aus diesem Buch entwickelte ich ein Rollenspiel, in dem die Klientin ihre Widerstände leicht überwinden und erkennen konnte, wie ihre bisherige Lebenseinstellung zu ihrer Körperfülle beigetragen hatte und dass sie diesen Zustand akzeptieren konnte — aber zugleich auch die Verantwortung für den aktuellen Zustand übernehmen konnte, ohne innere Widerstände oder Schuldgefühle zu entwickeln. Es brachte sie ganz enorm vorwärts in ihrer Entwicklung!
Plötzlich verwandelte sich alles, was sie bisher als tiefen inneren Konflikt erlebt hatte, in ein Gefühl tiefen Friedens, in Verständnis und Akzeptanz. Als Folge sah sie sich plötzlich als diejenige, die die Macht und die Verantwortung hat, bewusst ihren Körper über ihr Essverhalten und sportliche Bewegung verändern zu können. (Achtung! Jeder Mensch ist anders und diese Vorgehensweise therapiert keine „Ess-Störungen”!)

Nun ist es ganz bestimmt nicht ein Fachbuch für Therapeuten! Eher ist es ein Buch, das dem „Nicht-Therapeuten” ganz ohne jeden „Ratgeber-Charakter” dennoch zahlreiche Denkanstöße vermittelt.

Besonders hilfreich kann dieses Buch auch bei einer Trauer-Arbeit sein: Meiner Erfahrung gemäß äußert sich Trauer nicht anfangs in der Traurigkeit, sondern zunächst in einem Gefühlsgemisch aus Wut und Hass und erst dann wird die Trauer spürbar:
Die Verantwortung für diese Gefühle erst bei sich selbst suchen zu könen und dann aus der Verantwortung für die eigenen Gefühle heraus seine Trauer zuzulassen und dann in Form der Vergebung und des Verzeihens daraus heraus zu wachsen, wieder hin zu Lebenslust und mehr… dazu kann dieses Buch dem Leser verhelfen!

Oft reichen die Anregungen aus diesem Buch nicht aus, weil die Umsetzung der Anregungen nicht so einfach ist. Gerade auf dem Gebiet „Trauer, Vergebung, Verzeihen” ist oft eine Begleitung in Form einer einfühlsamen, liebevollen Begleitung erforderlich… — und manchmal auch therapeutische Unterstützung.

Das Buch beinhaltet allerdings auch Teile, die dermaßen stark in Spiritualität und die christliche Religion hinein gingen, dass ich sie schließlich schlichtweg nicht mehr gelesen habe. Denn meine gesamte spirituelle  Einstellung ist in einem Satz gesagt: Ich glaube, dass es etwas gibt, das größer ist, als wir Menschen. – Und alles was über diese Aussage hinaus geht, ist mir zu viel und empfinde ich als sinnlose Spekulation.

Auf jeden Fall empfehle ich dieses Buch allen, die gegen irgend jemanden oder gegen sich selbst einen Groll hegen. Das kann der eigene Körper sein, oder bestimmte eigene Unzulänglichkeiten oder es kann der Arbeitgeber sein, der „ungerechtfertigt” gekündigt hat, oder der Sohn, der einen großen Schaden verursacht hat oder Vieles mehr. Nicht der Rechtsweg und dessen Erfolg zählt, sondern das menschliche Verständnis für die eigenen Schwächen — aber auch die Schwächen des anderen!


Ich fand folgende Rezension eines Lesers sehr treffend:

Konrad Stauss leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbindung zwischen Psychotherapie und Seelsorge und zur „kreativen Arbeit an der Grenze” zwischen ihnen — wo doch der „moderne” Psychotherapeut nicht ohne seelsorgerliche Qualitäten auskommt, will er sich nicht auf eine Rolle als Seelenmanager oder bestenfalls „Manipulator des Patienten in dessen eigenem Sinne” beschränken, sondern als mitfühlender Mensch einem Menschen bei der Bewältigung seines Leides zur Seite treten.
Richtig: ”Beichte und Inventur heilt den Täter und nicht das Opfer!” (S. 23) - und richtig ist auch: ”Werden die Tatfolgen vom Opfer nicht durch Vergebung bearbeitet, dann ist es aus psychologischer Sicht sehr wahrscheinlich, dass die Tat verinnerlicht und unbewusst reinszeniert wird. Das Opfer wird so zum Täter.” Und schadet so weiterhin sich selbst und seiner Beziehung zu anderen.

Es scheint kein Weg daran vorbei zu führen, so bitter es für Psychotherapie-Patienten (ob traumatisiert oder nicht) auch ist und bleibt, dass sie (zum eigenen Nutzen!) den Hauptteil der Arbeit zu leisten haben, um die Folgen der ”Taten”, Handlungen, Schwächen und menschlichen Unzulänglichkeiten anderer zu bewältigen. Für diese (innere) Arbeit eine überschaubare, praktisch nachvollziehbare Anleitung zu erhalten, ist der wesentliche Beitrag dieses Buchs für Betroffene wie auch für ihre therapeutischen Begleiter.

Schade für den „säkularen” Leser ist, dass der Autor öfters eine sehr einseitige — für einen Psychotherapeuten unerwartete — Abwertung der (nur?) „rein wissenschaftlichen, das heißt weltlichen Sicht des Menschen” vornimmt. Das wirkt um so inkonsequenter, als er an anderer Stelle gerne eine „empirische Vergebungsforschung” bemüht (als ob es eine solche etablierte Wissenschaftsrichtung gäbe) und auch in der Praxis mit psychologischen Testverfahren und „Vergebungszertifikaten” mehr objektive Wissenschaftlichkeit als nötig suggeriert.

Im Gegenzug ist mir der christlich-argumentative Boden oftmals zu dünn, z.B. hier: „Durch Vergebung und Versöhnung kann der Seinsmangel aufgehoben werden. Dieser Prozess der Vergebung und Versöhnung führt zu einem Leben in Fülle, zum Reich Gottes. Das zentrale Anliegen von Jesus Christus war es, das Reich Gottes zu verkünden” (S. 224). Die Fundierung auf eine beziehungs- und bindungsorientierte Haltung in der psychotherapeutischen Arbeit wie im zwischenmenschlichen Leben überhaupt würde vollkommen ausreichen.
Wie gesagt, schade, aber verzeihlich: auch ohne den christlichen Überbau bietet das Buch viel Erhellendes. Man lese einfach ab Seite 114, wie es der Autor selbst dem atheistisch geprägten (oder lieber: in christlich-ekklesial-symbolischer Vorstellungsakrobatik ungeübten) Leser empfiehlt.