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Kaltes Land

ps kaltes land

Gegen die Verrohung der Bundesrepublik
Für eine humane Demokratie

Rudolph Bauer, Holger Platta
Broschiert 256 Seiten; Verlag LAIKA; erschienen 2012;
ISBN: 978-3942281249; Preis 22,90 €

Wer Psychotherapie konsequent ursächlich bis zu Ende denkt, landet zwangsläufig bei der Systemkritik. Zumindest systemisch orientierte Psychotherapeuten müssten mir bei dieser Aussage zustimmen. Denn der Mensch kann nicht losgelöst betrachtet werden von seinen Umgebungsbedingungen, in denen er lebt oder leben muss.

In meiner eigenen Psychotherapie, damals als Patient in einer Psychosomatischen Klink, habe ich mich zunächst gewundert und dann zu ärgern begonnen, dass die Therapeuten einen großen Bogen um das Thema machten. Denn damals war meine kleine Werbeagentur in den Konkurs geraten und ich zweifelte öfters am Sinn einer Psychotherapie, wenn ich danach in eine wenig aussichtsreiche Situation zurück kehren würde, die die Insolvenz und der Gerichtsvollzieher mir hinterlassen hatte.

Ich hatte aufgrund der von den Therapeuten künstlich geschürten Zuversicht allen Ernstes gegalubt, dass es wohlwollende Menschen geben könnte, die mir dabei helfen, mir wieder etwas aufzubauen. In der Not erlebte ich dann, wie eiskalt es in unserer Gesellschaft zugeht. Und das asoziale Klima hat sich nach meinen Beobachtungen weiter ausgebreitet.

Und je tiefer ich mich in der Psychotherapie fort bildete, desto mehr begriff ich, dass Menschen zwar – genetisch programmiert – als höchst soziale Wesen geboren werden. Zudem sind sie lust-orientiert und extrem creativ. Aber dann kommt die „Erziehung”, die zu allen Zeiten immer im Sinne des jeweiligen Systems und der dort Herrschenden erfolgte. Und das kapitalistische System beruht auf dem Konkurrenzprinzip – besser gesagt: auf der Ellenbogen-Gesellschaft.
Genau darum geht es in diesem Buch. Es ist die Kritik, dass Menschlichkeit angesichts der Profit- und Machtinteressen der Herrschenden eine untergeordnete Rolle spielt. An immer mehr Stellen wird diese Verrohung sichtbar, die fast immer die Folge von Profitstreben ist. Hier einige Beispiele speziell aus dem Gesundheitswesen:

  • Da gibt es die „Priorisierung von Leistungen im Gesundheitswesen” – was nichts anderes bedeutet, dass nur wer anständig zahlen kann oder privat versichert ist, die  aufwändigeren und moderneren medizinischen Behandlungen erhalten kann.
  • Da gibt es die mangelnde Krankenhaus-Hygiene, die auf den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zurück zu führen ist und an der jährlich in Deutschland über 10.000 Menschen schwerste Schäden erleiden bis zum Tod! Zugleich verkündete der Chef des Fresenius-Konzern (Mutterkonzern der größten Krankenhaus-Holdingt in Deutschland, der Helios-Kliniken), dass es keinen vernünftigen Grund gäbe, warum Krankenhäuser heutzutage nicht mindestens 15% Umsatzrendite erwirtschaften könnten!
  • Viele meiner Klienten klagen darüber, dass sie auf absehbare keinen Psychotherapieplatz erhalten hätten (bis zu 1 Jahr Wartezeit). Sie kommen zu mir, obwohl sie es sich finanziell kaum leisten können. Wozu zahlen wir immer höhere Krankenkassenbeiträge für Leistungen, die dann, wenn sie dringend benötigt werden, gar nicht zur Verfügung stehen? Das kann man doch als Betrug ansehen!
  • Ich höre von meinen Klienten (und hatte es damals in meiner eigenen Krise selbst erlebt), dass statt einer Psychotherapie bereitwillig Psychopharmaka verschrieben werden. Die sind nun mal viel billiger als eine Psychotherapie und stellen eine „schnelle Lösung” (besser gesagt: eine schnelle Scheinlösung) dar. Aber Ärzte müssen heutzutage darauf achten, dass sie eine bestimmte Anzahl von Patienten pro Tag durchschleusen, damit sich die Praxis überhaupt rechnet. Für einfühlsame Gespräche (sprechende Medizin) bleibt da kein Raum.
  • Ich habe zahlreiche Fachbücher gesehen, bei denen ich den Eindruck hatte, dass sie von Professoren geschrieben worden sind, denen die Pharma-Industrie sozusagen den Text diktiert hat. Warum? Weil der Staat die Mittel für die Universitäten kürzt, suchen diese sich andere Finanzierungsmöglichkeiten. Sie werben „Drittmittel” von der Industrie für Forschungsprojekte ein oder lassen sich direkt von der Industrie mit Forschungsprojekten beauftragen. Eine unabhängige Forschung und Lehre ist so nicht mehr möglich!

Ich könnte an dieser Aufzählung noch Jahre lang schreiben, denn fast täglich kommen neue korrupte Sachverhalte ans Tageslicht. Da könnte einem die gute Tageslaune vergehen. Bitte lesen Sie dieses Buch nicht, wenn Sie in einer depressiven Stimmung sind! Es könnte sie „herunter ziehen”.
Andererseits beinhaltet das Buch auch Anregungen, wie man sich gegen diese Machenschaften besser wehren kann.


Rezension des Verlags:

„Kaltes Land“ ist das Gemeinschaftswerk von mehr als einem Dutzend AutorInnen. Sie rufen auf zum Widerstand gegen die immer brutaler zuschlagende Entmenschlichungspolitik des Neoliberalismus: mit Analysen und Argumenten, aus wissenschaftlicher und Betroffenensicht, mit Empathie und Engagement.

Stéphane Hessel ("Empört Euch!") fordert, im Interesse sozialer Menschenrechte die Macht der Reichen zu brechen. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge zeigt auf, wie in Deutschland der Sozialstaat ruiniert wird. Der Soziologe Volker Eick beschreibt parallele Entwicklungen in den USA. Der katholische Sozialethiker Hengsbach spricht vom Bürgerkrieg gegen die Arm-Gemachten. Rudolph Bauer und Holdger Platta warnen vor einem neuen Totalitarismus in Deutschland und Europa. Die Rede ist von kapitalistischer Globalisierung und Hartz IV: von einer Politikverrohung, die immer mehr Ausgegrenzte ins Unglück stürzt. „Kaltes Land“ läßt Hartz-IV-Betroffene zu Wort kommen und stellt Lösungsmodelle vor. Diese reichen, präzise durchgerechnet, vom menschenwürdigen Regelsatz bis zur Arbeitszeitverkürzung (Rainer Thiel), begründen einen neuen humanen Arbeitsbegriff (Frigga Haug, Jutta Meyer-Siebert) und präsentieren die Konzeption eines menschendienlichen Wirtschaftsmodells jenseits des Kapitalismus (Norbert Bernholt).

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